Top-Down: Maßnahmen einer integrierten Ernährungs- und Bildungspolitik für prägende Ernährungsumgebungen in Kindertagesstätten und Schulen

Prof. Dr. Ines Heindl, Europa-Universität Flensburg
 

Das Verbraucherpolitische Forum Berlin 2023 brachte Fachkräfte von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zusammen, um die aktuellen Bedingungen für ein gesundes Aufwachsen von Kindern zu diskutieren. Beeinflussende Faktoren im privaten und öffentlichen Raum legen die zentralen gesellschaftlichen Verantwortungsbereiche offen, wodurch die institutionelle Bildung, vor allem Konzepte von Kita und Schule, im Mittelpunkt stehen. Ganztagsangebote am Beispiel alltäglichen Schullebens zwischen Unterricht und Gemeinschaftsverpflegung zeigen ihre prägenden Einflüsse, wenn die Grundrechte der Kinder mit der nachhaltigen Gestaltung gesundheitsfördernder und sozial gerechter Ernährungsumgebungen zusammenkommen.

Seit 40 Jahren führen Förderprogramme der Ernährungs-, Gesundheits- und Verbraucherpolitik bundesweit zu beachtlichen Konzepten, die die Bildungslandschaft von Grund auf (Bottom-Up) verändert haben. So weit, so gut? Eine entscheidende Frage lässt sich dennoch nicht beantworten: Warum verbreiten sich diese Erfolgsmodelle bis heute nicht flächendeckend in den Ländern? Erkenntnisse einer Metaanalyse zum Thema Bildung, Innovation und Transfer (vgl. R. Nickolaus & C. Gräsel 2006) finden hier ihre Bestätigung: Bottom-Up-Strategien bewirken nur dann nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen, wenn diese von abgestimmten bildungspolitischen Rahmenbedingungen (Top-Down) koordiniert werden. Eine integrierte Ernährungs- und Bildungspolitik verfolgt das Ziel, den Geschützten Raum Kita und Schule frei von wirtschaftlichen Interessen zu gestalten.

Das gilt auch für die Berliner IN FORM Projekte 2019-22 und das Bottom-Up-Konzept, d.h. den Einsatz regional-saisonaler Bio-Gemüse-Obst-Abokisten als exemplarisches Prinzip.

Aus der bis heute fehlenden Abstimmung erfolgreicher Bottom-Up-Strategien mit den Bedingungen einer integrierten Ernährungs- und Bildungspolitik, die eine Umsetzung in Bund und Ländern garantiert, lässt sich folgender Maßnahmenkatalog ableiten:

  1. KMK-Ebene
    Ernährungs-, Gesundheits- und Verbraucherbildung: von der Empfehlung zum verpflichtenden Angebot für alle Schularten. Durch interministerielle Abstimmung auf der Bund-Länder-Ebene werden Bildungspläne, Klassenstufen und Leitlinien verbindlich festgelegt.
  2. Geschützter Raum Kita und Schule
    Prinzipien einer nachhaltigen Ernährung werden gelernt und gelebt, da Unterricht und Gemeinschaftsverpflegung frei von wirtschaftlichen Interessen vermittelt werden.
  3. Komplexe Sachverhalte didaktischer Reduktion
    Schüler:innen lernen in Theorie und Praxis die Märkte und ihre Massenangebote zu durchschauen, deren Auswirkungen auf Ernährung, Esskultur und Gesundheit die Konsumentscheidungen maßgeblich beeinflussen.
  4.  Multidisziplinäre Zugänge
    zwischen Ernährung und Gesundheit, Konsum, Ökonomie und Politik sind die fachlichen Grundlagen dieser Bildungskonzepte.
  5. Länder-Ebene
    Die fachlichen Entwicklungen (Leitlinien, Curricula, Fachanforderungen) seit 2000 werden evaluiert und auf einen aktuellen Stand gebracht, mit dem Ergebnis und Ziel der Koordination bundesweit einheitlicher Bildungspläne bzw. -standards.

Die blinden Flecken der Bildungspolitik zeigen, dass die Verbreitung erfolgreicher Modelle zwischen Esskultur und Gesundheit, Konsum und Nachhaltigkeit mehr denn je die integrierende Hand der Politik zwischen Ernährung, Gesundheit und Bildung braucht.

Fazit
Im geschützten Raum Kita und Schule, frei von wirtschaftlichen Interessen, entstehen die prägenden Ernährungsumgebungen1 , die das Grundrecht der Kinder auf eine lebenswerte Zukunft in Gesundheit fördernder Gemeinschaft ins Zentrum rücken.

Grundmann, S., Schulz-Greve, S., Langen, N. & Heindl, I. (2021b).
Nachhaltige Ernährung, Verbraucherbildung und Schulverpflegung. Modell einer fachbezogenen Verzahnung.
Ernährung im Fokus, EiF Themenheft 3/2021, 174-181.

Nickolaus, Reinhold  & Cornelia Gräsel (Hrsg.)
Innovation und Transfer. Hohengehren
Schneider Verlag 2006

WBAE - Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim BMEL (2020).
Politik für eine nachhaltigere Ernährung: Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten.
Gutachten, Berlin


1 Der WBAE 2020 bezeichnet solche Ernährungsumgebungen als fair, insofern sie (1) auf menschliche Wahrnehmungs- und Entscheidungsmöglichkeiten sowie Verhaltensweisen abgestimmt sind und (2) gesundheitsfördernder, sozial-, umwelt- und tierwohlverträglicher sind und damit zur Erhaltung der Lebensgrundlagen heutiger und zukünftig lebender Menschen beitragen.